(zg) Folgender Leserbrief erreichte uns aus Wiesloch.
Leserbrief: Kognitive Dissonanz
Liegt es an mir oder sind es die anderen?
Am 1. Oktober 2023 steht die Wahl des Oberbürgermeisters an. Die Stadt Wiesloch lud am Montag, 18. September, 19.00 Uhr, in das Veranstaltungszentrum Palatin zur Kandidatenvorstellung ein.
Tage vorher war bekannt geworden, dass sich dieses Mal nur ein einziger Bewerber, der bisherige Amtsträger, zur Wahl stellen würde. War das der Grund, warum sich nur ca. 80 Bürger in den Weiten des Veranstaltungssaals verloren?
In einer kurzen Einführung schilderte der Kandidat seinen tadellosen Lebenslauf und die Errungenschaften seiner ersten Amtszeit. Die Stadt Wiesloch war und ist in den besten Händen – durfte man schließen.
Das Publikum bestand, grob gesagt, aus zwei Gruppen: Amtsträgern wie Gemeinderatsmitgliedern und Ehrenamtlern, und Interessierten älteren Semesters, meist Ehepaaren.
Junge Menschen unter 25, die heute oft lautstark in den öffentlichen und sozialen Medien auftreten, Fehlanzeige. Mitbürger mit ausländischem oder migrantischen Hintergrund kein einziger.
Fragen der Bürger gab es nur wenige. Entweder waren sie ortsteilbezogen – der Hauptteil betraf die städtische Klimapolitik. Die Dominanz einer kleinen, stark engagierten Gruppe war augenscheinlich.
Kein einziges Wort fiel über eine tödliche Messerattacke in Wieslochs Zentrum, die sich gerade 10 Tage zuvor ereignet hatte. Dies, obwohl dieser tragische Vorgang nach wie vor das Stadtgespräch dominiert.
Wer die Führung der Stadt Wiesloch kennt, weiß, dass hier der woke Geist regiert. Wiesloch gendert, Wiesloch ist Fairtrade-Stadt, Wiesloch lässt die Radfahrer durch die Fußgängerzone fahren.
Gegen Ende erhielt der OB-Kandidat noch einmal das Wort für ein Fazit. Er als auch sein Amtskollege, der versammlungsleitende Bürgermeister, baten inständig um eine ordentliche Wahlbeteiligung. Diese erst würde den gewählten Oberbürgermeister legitimieren.
Die Führung der Stadt scheint den Kontakt zur Basis ihrer Bürger verloren zu haben. Wokeness wabert durch das Rathaus, getrieben von einer kleinen, fanatischen Interessensgruppe. Die Selbstzufriedenheit strahlt über der Führung der Stadt.
Mein Eindruck war gespalten. Der geschilderte Erfolg mit den angeblich vortrefflichen Perspektiven der Stadt paarte sich mit einem inneren Gefühl der Leere, des Unglaubens.
Liegt es an mir oder sind es die anderen?
Meinen Wahlzettel hatte ich in dem Moment, als bekannt wurde, dass es nur einen einzigen Kandidaten geben würde, vernichtet. Gleichwohl hatte mich interessiert, wie sich die OB-Wahl öffentlich darstellt.
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