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Dienstag, April 30, 2024
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Karlsruhe: BVerfG-Urteil für die Meinungsfreiheit und Pressefreiheit in Deutschland – Regierungskritik erlaubt

Meilenstein der demokratischen Entwicklung in Deutschland

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Journalisten gegen die gerichtliche Untersagung einer kritischen Äußerung über die Bundesregierung.

Gestern um 11:06 Uhr veröffentlichte die Deutsche Presse-Agentur, die bedeutendste Nachrichtenquelle des Landes, folgende Nachricht an die Redaktionen: „Karlsruhe: Reichelt-Kritik an Bundesregierung ist erlaubt“

Es ist also erlaubt, wenn ein Journalist die Regierung kritisiert.

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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einem Beschluss entschieden, dass ein Tweet des ehemaligen „Bild“-Chefredakteurs Julian Reichelt von August 2023 nicht rechtswidrig war.

Reichelts Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel erklärt auf Anfrage von MEEDIA: „Die Bundesregierung ist mit ihrem offensichtlich verfassungswidrigen Versuch gescheitert, einem Journalisten mit gerichtlicher Hilfe eine Meinungsäußerung zu verbieten. Das Bundesverfassungsgericht hat der Regierung in seinem der Verfassungsbeschwerde von Julian Reichelt stattgebenden Beschluss eine Lektion darüber erteilt, was wirkliche Demokratieförderung ist. Den Steuerzahler könnten die Verfahren insgesamt einen sechsstelligen Betrag kosten. Der Staat ist jetzt verpflichtet, wegen offenkundiger Beratungsfehler Schadensersatzansprüche gegen seine anwaltlichen Vertreter zu prüfen.“

Laut FAZ werde die Bundesregierung den Streit nicht weiterverfolgen. Seitens des Ministeriums heißt es: „Wir nehmen dieses Urteil mit Respekt zur Kenntnis und werden den Rechtsstreit in dieser Sache nicht weiter verfolgen“. Weiter berichtet die FAZ: „Das Bundesentwicklungsministerium stellt es nun so dar, als sei es nie darum gegangen, eine missliebige Meinung zu verbieten. „Kritik an der Bundesregierung gehört zur Demokratie. Selbstverständlich hält das Entwicklungsministerium auch schärfste und polemische Kritik aus“, schreibt das BMZ.“

Der Tweet im Wortlaut:

„Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wahnsinn!!! #Afghanistan #Taliban #KohleGeld“

Das Kammergericht Berlin hatte Reichelt im März 2023 untersagt, diesen Tweet weiterzuverbreiten, da er unwahr sei und den Ruf der Bundesregierung schädige. Reichelt legte dagegen Verfassungsbeschwerde ein. Erfolgreich.

Die Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hob die Unterlassungsanordnung des Kammergerichts auf. Die Äußerung Reichelts sei zwar „polemisch und überspitzt formuliert“, falle aber in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit gelte auch für „provokante und verletzende Äußerungen“.

„Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Zwar dürfen grundsätzlich auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen. Ihr Schutz darf indessen nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen. Das Gewicht des für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden Grundrechts der Meinungsfreiheit ist dann besonders hoch zu veranschlagen, da es gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.“ so die Wesentliche Erwägungen der Kammer.

Begründung:

  • Meinungsfreiheit: Die Meinungsfreiheit sei ein hohes Grundrecht, das auch „scharfe Kritik“ an der Regierung umfasse.
  • Kontext: Der Tweet Reichelts müsse im Kontext seiner journalistischen Tätigkeit und der öffentlichen Debatte über die deutsche Entwicklungshilfe für Afghanistan gesehen werden.
  • Meinungsbildung: Die Meinungsfreiheit diene auch dazu, „die öffentliche Meinungsbildung zu stören und herauszufordern“.
  • Schutz der Regierung: Die Bundesregierung müsse sich auch mit „unangenehmen und unpopulären“ Meinungen auseinandersetzen.

Reaktionen:

Die Entscheidung des BVerfG wurde von der Politik und den Medien kontrovers diskutiert. Befürworter der Entscheidung betonen die Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine offene Gesellschaft. Kritiker bemängeln, der Tweet Reichelts sei diffamierend und habe den Ruf der Bundesregierung zu Unrecht geschädigt.

Rechtsanwalt Christian Solmecke schreibt, dass der Sieg vor dem höchsten deutschen Gericht möglicherweise eine weitreichende Grundrechtsentscheidung in Sachen Staatskritik darstellt. Er erklärt weiter: „Die Grenze zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung ist im Äußerungsrecht sehr häufig ein Problem, da sie schnell verwischt. Per Beschluss hat das BVerfG unmissverständlich klargestellt, dass die Meinungsfreiheit für die Staatskritik besonderes Gewicht hat.“

Wolfgang Kubicki Vizepräsident des Deutschen Bundestags über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:

„Das ist ein guter Tag für die Meinungsfreiheit in unserem Land. Karlsruhe setzt ein deutliches Stopp-Schild für all diejenigen in der Bundesregierung, die meinen, Kritik am Staat illegalisieren zu können. Artikel 5 schützt eben auch scharfe und polemische Kritik am Staat. ‚Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des Grundrechtsstaates‘, stellt Karlsruhe hierzu in erfreulicher Deutlichkeit erneut klar. Damit ist die Entscheidung mehr als ein juristischer Sieg für Julian Reichelt. Es ist ein Signal zur rechten Zeit, in der die Meinungsfreiheit zunehmend unter Druck gerät.  

Ich hoffe, die Bundesinnenministerin und die Bundesfamilienministerin lesen und verstehen die Entscheidung. Sätze wie: ‚Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen‘, hätten von einer Verfassungsministerin wie Nancy Faeser niemals ausgesprochen werden dürfen. Die Tatsache, dass Lisa Paus sich um Social-Media-Beiträge sorgt, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, war immer skandalös. Ich hoffe, sie nimmt den heutigen Tag zum Anlass, ihre grundsätzlichen Vorstellungen von ‚Demokratieförderung‘ nochmal gründlich zu überdenken. 

Nachdenklich werden dürfen auch all diejenigen, die Maßnahmen-Kritiker während Corona oder Demonstranten gegen die jetzige Bundesregierung leichtfertig in die Ecke der Verfassungsgegner gestellt haben. Kritik am System, an der Regierung oder an Gesetzen ist nicht nur zulässig, sondern ihre Zulässigkeit ist Teil des Grundrechtsstaates. Wer das nicht versteht und die Zulässigkeit eben solcher Kritik zu leichtfertigt verneint, entlarvt sich womöglich selbst als Feind unseres freiheitlich demokratischen Rechtsstaates.“ 

Fazit des Urteils:

Die Entscheidung des BVerfG im Fall Reichelt ist ein wichtiges Signal für die Meinungsfreiheit in Deutschland. Sie zeigt, dass auch scharfe Kritik an der Regierung zulässig ist. Allerdings ist die Grenze zwischen zulässiger Meinungsäußerung und unzulässiger Schmähkritik weiterhin ein komplexes Thema, das im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden muss.

Kritik an Machtausübung ist erlaubt, das wurde bereits mehrfach höchst richterlich festgestellt. So schrieb die Süddeutsche Zeitung 2020 über die Dünnhäutigkeit der Justiz: „Wenn der Bürger mit der Entscheidung der Obrigkeit so ganz und gar nicht einverstanden ist, dann können deftige Worte fallen. Der besonnene Teil in diesem Streit sollte eigentlich der Staat sein. Doch manchmal reagiert er seinerseits dünnhäutig, wie man nun in zwei Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts nachlesen kann. Das Gericht hat zwei Geldstrafen aufgehoben, welche die Justiz gegen wütende Bürger verhängt hatte.“ – „Er habe „dämlich gegrinst“, warf ein Kläger dem Richter vor. Dafür gibt es eine Geldstrafe wegen Beleidigung. Zu Unrecht: Beamte müssen sich auch persönliche Kritik gefallen lassen.“

Amtsträger dürfen nicht allzu dünnhäutig sein. Dennoch hört man von Bürgermeistern und Oberbürgermeistern, aber auch Regierungspolitikern, die Strafanzeigen stellen gegen ihre eigenen Bürger, darunter auch Journalisten oder Unternehmer. Im vergangenen Jahr schrieb FocusOnline: „Robert Habeck reagiert dünnhäutig auf Vorwürfe gegen ihn. Er sieht sich als Opfer einer konservativen Kampagne. Warum greifen ausgerechnet Grüne zu Verschwörungstheorien?„. Ein anderes Beispiel für Dünnhäutigkeit lieferte Annalena Baerbock unlängst, wie Apollo News berichtete: „Baerbock stellte Strafantrag gegen Unternehmer, der die Grünen kritisierte – Freispruch“ – Die Berliner Zeitung dazu: „Baerbock verklagt Unternehmer wegen einer Karikatur, die sie als Kind darstellt – und verliert„.

Julian Reichelt äußert sich:

Julian Reichelt war von Februar 2017 bis Oktober 2021 Vorsitzender der Chefredaktionen und Chefredakteur Digital der Bild. Seit Juli 2022 betreibt er den YouTube-Kanal „Achtung, Reichelt!„, seit 2023 Teil der Nius-Plattform. Seit 2024 ist er Geschäftsführer der dahinterstehenden Vius Management SE.

Quellen und weiterführende Informationen:

NIUS: Ein Sieg für unser wichtigstes Grundrecht: „Es ist ein Signal zur rechten Zeit, in der die Meinungsfreiheit zunehmend unter Druck gerät“

LTO: Julian Rei­chelt siegt vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt

ARD: Polemischer Reichelt-Post ist rechtens

ZDF: Reichelt-Kritik an Bundesregierung erlaubt

FAZ: Karlsruhe: Reichelt-Kritik an Bundesregierung ist erlaubt

DIE WELTWOCHE: Urteil für die Meinungsfreiheit: Julian Reichelt gewinnt vor dem Bundesverfassungsgericht. Seine Kritik an der Bundesregierung ist erlaubt

Meedia: Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt gewinnt vor Gericht gegen Bundesregierung

Achgut: Julian Reichelt gewinnt vor Bundesverfassungsgericht

WBS: Julian Reichelts Taliban-Spruch war doch zulässige Kritik

SZ: Wenn die Justiz dünnhäutig ist

Bild von Udo Pohlmann auf Pixabay

Anm. d. Red.: Für eingereichte oder namentlich gekennzeichnete Beiträge sind die Autoren verantwortlich. Form, Stil und Inhalt liegen allein in der Verantwortung des Autors. Die hier veröffentlichte Sichtweise kann daher von der Sichtweise der Redaktion oder des Herausgebers abweichen.

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